Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens – eines der traditionsreichsten archäologischen Museen Deutschlands
Seine Gründung geht auf eine Initiative des „Naturwissenschaftlichen Vereins“ von 1888 zurück. Ihr Ziel war, verschiedene private naturwissenschaftliche, ethnologische und archäologische Sammlungen der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Bedeutende Sammlung mit traditionsreicher Geschichte
Bereits kurz nach seiner Gründung erhielt das Museum durch die pleistozänen Funde aus den Travertinen des Ilmtals um Weimar überregionale Bedeutung. Darüber hinaus vermittelte das bald städtische Museum einen Überblick über die geologischen, naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Verhältnisse Weimars und darüber hinaus des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach.
Hatten die archäologischen Sammlungen zunächst gegenüber den zoologischen, mineralogischen, paläontologischen, botanischen und ethnografischen Sammlungen vergleichsweise geringe Bedeutung, änderte sich dies sehr schnell durch die archäologischen und paläontologischen Entdeckungen zum Eiszeitalter bei Taubach, Weimar-Ehringsdorf und Süßenborn, mit denen sich seit Anfang des 20. Jh. zahlreiche renommierte Wissenschaftler verschiedener Disziplinen beschäftigten. Auf der Grundlage der damals bahnbrechenden Entdeckungen zur frühen Menschheitsgeschichte in den Travertinen von Weimar-Ehringsdorf fanden unter internationaler Beteiligung 1912 die 43. Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft, sowie 1925 die Tagung der Paläontologischen Gesellschaft statt.
Bis heute konnten in Europa nur wenige Fundstellen mit Resten des pleistozänen Menschen untersucht werden, an denen so umfänglich dessen kulturelle Hinterlassenschaften, die ihn umgebende Flora und Fauna, seine Jagdbeute sowie der Mensch selbst erforscht werden können.
Neustrukturierung zu einem Zentrum archäologischer und quartärpaläontologischer Forschung
In den Nachkriegsjahren gestaltete der mit der Neustrukturierung beauftragte Archäologe Dr. Günter Behm-Blancke) das Museum zu einem Zentrum archäologischer und quartärpaläontologischer Forschung um.
In der Feldforschung folgten Jahre intensiver, fächerübergreifender Untersuchungen sowohl zum Altpaläolithkum (Weimar-Ehringsdorf, Weimar – G. Behm-Blancke) als auch zum Jungpaläolithikum (Döbritz, Saalfeld, Ölknitz – R. Feustel), in deren Folge auch ein immenser Zuwachs der paläontologischen Bestände zu verzeichnen war. Die paläontologischen und ethnographischen Sammlungen wurden nach und nach zugunsten der archäologischen Bestände an entsprechende Spezialmuseen abgegeben.
Eine wesentliche Zäsur war die Gründung des Instituts für Quartärpaläontologie unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Dietrich Kahlke, das im Jahre 2000 an das Forschungsinstitut Senckenberg angegliedert wurde. Dort fanden die reichen mittelpleistozänen Faunenbestände aus Weimar, Ehringsdorf und Taubach ihr neues Domizil und wurden seitdem in einer großen Zahl wissenschaftlicher Publikationen erschlossen und ausgewertet.
Die Sammlung nach 1992
Seit dem Erlass des Thüringer Denkmalschutzgesetzes von 1992 und der damit verbundenen Einrichtung des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, dem auch das Museum für Ur- und Frühgeschichte zugeordnet ist, unterliegen auch paläontologische Funde als Bodendenkmale staatlichem Schutz. Ebenso wie archäologische Denkmale unterliegen sie dem Schatzregal und werden Eigentum des Freistaates Thüringen.
Wie für die Untersuchung von archäologischen Denkmalen, muss auch für gezielte Feldforschungen auf paläontologischen Fundstellen eine Grabungsgenehmigung beim Landesarchäologen eingeholt werden. Die Inventarisierung der Funde erfolgt im Auftrag des Freistaates Thüringen durch die jeweiligen Forschungsinstitute. Solche Forschungen werden heute in enger Zusammenarbeit mit der Thüringer Landesarchäologie vorgenommen.
Sammlungskern
Den Kern der im Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens verbliebenen naturgeschichtlichen Sammlungen bildet die im europäischen Kontext einzigartige anthropologische Sammlung mit den international bedeutenden Hominidenreste von Weimar-Ehringsdorf (Vlcek 1993) und Bilzingsleben (Ausgrabungen seit 1992 ; Vlcek 2002).
Neben diesen sehr alten Fundstücken bilden hier Skelettreste von ca. 25 000 Individuen aus einer Zeitspanne vom Neolithikum bis zur Frühneuzeit eine wichtige Quelle für anthropologische Studien in dem klar geographisch zu fassenden Raum des Mittelelbe- Saalegebietes.
Zum wissenschaftlich besonders wertvollen Teil der archäozoologischen/paläontologischen Sammlung gehören zusammen mit den Faunenbestände der jungpaläolithischen Jagdstationen von Döbritz, Saalfeld und Ölknitz die Faunenbestände der Ausgrabungen auf der Fundstelle des Homo erectus von Bilzingsleben. Darüber hinaus enthält die Sammlung einen umfangreichen Bestand holozäner Faunenreste aus Siedlungen und Bestattunsplätzen von der Jungsteinzeit bis zur frühen Neuzeit. Die archäozoologische Sammlung wird durch eine über Jahrzehnte vor allem durch Hans Barthel zusammengetragene Vergleichssammlung von rezenten Tierknochen ergänzt, die zur Bestimmung von Fundmaterial aus Ausgrabungen herangezogen wird.
Das Landesamt verfügt über eine moderne Restaurierungswerkstatt und ein archäonaturwissenschaftliches Labor. Hier stehen vor allem materialkundliche Forschungen, Herkunftsanalysen, aber auch anthropologische und zoologische Forschungen vom Paläolithikum bis zur frühen Neuzeit im Blickpunkt. In diesem Bereich entsteht gerade eine Referenzsammlung zur Datierung und zur Chemischen Analyse von archäologischem Fundmaterial, die durch eine nationale und internationale Vernetzung der Daten zu einer besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse beitragen soll.
Kernstücke der musealen Präsentation sind neben den pleistozänen Fundstücken die Funde aus den germanischen Elitengräbern von Haßleben bei Erfurt und die Funde aus der Zeit des Thüringer Königreiches. In dem 1999 sanierten Gebäudekomplex wird die Besiedlungs‑, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Thüringens anhand von zahlreichen einmaligen Originalen, aber auch Modellen und Installationen von den Anfängen bis ins frühe Mittelalter eindrucksvoll vermittelt.